Mittwoch, 8. Februar 2017

Y: The Last Man: Allein unter Vielen


Y: The Last Man ist eine Institution in der Welt der Comic-Bücher, oft ist die Reihe aus der Feder von Brian K. Vaughan ganz weit oben mit dabei, wenn es um eine Auflistung der "besten Graphic Novels aller Zeiten" geht auf diversen einschlägigen Ranglisten-Websites. Somit stieß ich nicht lange, nachdem ich anfing, mir wohlnährendes Futter für meine neue Comic-Leidenschaft im Internet zu suchen, auf all die Lobpreisungen und himmlischen Hymnen auf die Geschichte von Yorick Brown und dem ganz besonderen post-apokalyptischen Setting, in welchem er sich durchschlagen muss. Ich war schnell von der Grundidee der Reihe angefixt, und freute mich nach der Lektüre von Locke & Key, die doch recht kurz von Dauer gewesen war, auf eine mit 60 Einzel-Issues und (für mich) zehn zusammenfassenden Trade-Paperback-Bänden längere und vermutlich epischere Geschichte. Wie auch schon The Sandman, erschien Y: The Last Man desweiteren beim DC-Ableger Vertigo, was für mich ebenfalls nach einem Qualitätsmerkmal klang, und einen weiteren Grund gab, die Reihe zu beginnen. (Im späteren Verlauf meiner Reise durch die Comic-Welt sollte sich diese Einschätzung nur mehr und mehr verhärten, so viel sei kurz am Rande erwähnt).
Ebenjene berühmt gewordene Grundidee der Geschichte von Yorick Brown ist folgende: am 17. Juli 2002 sterben zur exakt gleichen Uhrzeit alle männlichen Säugetiere auf dem Planeten Erde. Somit verleiht nicht nur Yoricks Anfangsbuchstabe der Serie ihren doppeldeutigen Titel, sondern auch die Ausgangssituation der Auslöschung allen weltlichen Lebens, welches ein Y-Chromosom in sich trägt. Lediglich Yorick, ein junger Magier und Ausbruchskünstler, und sein Äffchen Ampersand überleben vom männlichen Geschlecht. Der plötzliche keinem möglichen Täter zuzuordnende Genozid führt zu vielen weiteren Katastrophen, wie etwa etlichen Flugzeugabstürzen, und Yorick und sein Ampersand finden sich von einem Schlag auf den anderen in einer Welt wieder, in der es nur noch weibliches Leben gibt. Yoricks Mutter, die einen Posten im amerikanischen Kongress innehält, beauftragt die namenlose Agentin 355 zur Sicherstellung ihres Sohnes, und zusammen reisen sie zu einem Treffen mit der Genbiologin Dr. Mann, welche sich auf die Klon-Forschung spezialisiert hat. Diese drei Charaktere werden für den Rest der Reihe den innersten Kern des Personals bilden. Militärorganisationen verschiedener Staaten werden versuchen, sich Yorick habhaft zu machen, ebenso wie neuformierte Gruppen von selbsternannten Amazonen-Kriegerinnen, die die Gunst der Stunde genutzt haben, um ihre Ideologie an die Frau zu bringen, ihn jagen. Dr. Manns familiäre Hintergründe werden genauso eine Rolle spielen wie der sogenannte "Culper Ring", welchem Agentin 355 angehört, und Yoricks Schwester Hero Brown, welche ihr ganz eigenes Schicksal zu erleiden hat... Und Yorick ist trotz all den Geschehnissen um ihn herum nichts auf der Welt wichtiger, als seine Freundin Beth wiederzutreffen, die sich zum Zeitpunkt des Massensterbens auf einer Expedition in der australischen Wildnis befand, und die es für ihn nun zu suchen und zu finden gilt.


Brian K. Vaughan versteht es sehr gut, interessante und tiefe Charaktere zu kreieren, und er schafft es ebenfalls mit Bravour, den Leser über die gesamte Laufzeit von Y: The Last Man immer wieder mit neuen Wendungen und neuen Erkenntnissen zu konfrontieren, sodass der Reihe niemals die Spannung fehlt. Auch wenn ich im Nachhinein das Gefühl hatte, dass die zweite Hälfte qualitativ etwas nachließ, so kann ich doch nicht sagen, dass ich in den 60 Kapiteln der großen, übergreifenden Geschichte jemals wirklich gelangweilt hätte. Nein, im Gegenteil, zu den allergrößten Teilen ist es ein Genuss, Vaughans Plots zu verfolgen, zu sehen, wie er mit Erwartungshaltungen und voreiligen Interpretationen spielt und, nicht nur als Leser allein, sondern zusammen als eine Einheit mit den Hauptcharakteren, den riesigen Zusammenhängen und Twists auf die Schliche zu kommen. Yorick, Agentin 355, Allison Mann, auch Ampersand, Hero und viele weitere sekundäre Charaktere sind wunderbar geschriebene und ausgearbeitete Wesen, die mir lange Zeit nach dem Lesen nicht mehr aus dem Kopf gehen wollten und mit denen ich gerne eine lange, beschwerliche Reise, an ein mehr als zufrieden stellendes (und alle kleinen Hänger der zweiten Hälfte der Reihe ausgleichendes) Finale angetreten habe.
Y: The Last Man lebt sowohl von den flinken Dialogen zwischen den Charakteren, die Vaughan stets authentisch und situationsbezogen in passendem Ton verfasst, von den kleinen Eigenheiten des näher ergründeten Hauptpersonals und den zwischenmenschlichen Beziehungen und Beziehungsproblemen, die sie bestimmen und zeichnen, als auch von actiongeladenen Showdowns und groß angelegten Spannungs-Crescendi. Die Balance zwischen den beiden Arten der Unterhaltung ist beinahe immer perfekt gehalten, und gerade das ist es, was die Reihe zu etwas Besonderem macht. Neben der außergewöhnlichen Dystopie-Idee, die ihr als Grundlage dient, und mit der sich einiges an gesellschaftskritischem Kommentar und Feminismus sowie auch existenzialistische Philosophie und Spiritualität einbauen lässt (was Vaughan beides zu Genüge umsetzt), geht es um echte Menschen, mit den man mitfühlen und mitfiebern kann - aber auch um zeichnerisch toll umgesetzte und rasant gescriptete Actionsequenzen, die einem den Atem verschlagen können.


So, und das war mein kleiner Rückblick auf Y: The Last Man, eine wirklich eindrucksvolle Comic-Reihe, deren Kohärenz und Ausgefeiltheit im Genre der dystopischen Odysee immer noch ihresgleichen suchen dürfte. Demnächst geht es weiter mit einem Artikel über die immer wieder untergehende und viel zu wenig besprochene Vertigo-Reihe Sweet Tooth weiter; ein Recap, auf den ich mich schon sehr freue.
Bis dahin!

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