Mittwoch, 22. Februar 2017

Transmetropolitan: Journalistischer Wahnsinn


Das Genre des Cyberpunk ist eines jener Gebiete, die mich nie vollständig überzeugen konnten, wann immer ich mich mit Werken, die in diese Richtung gehen, auseinandergesetzt habe. Meine literarischen Cyberpunk-Versuche sind allesamt gescheitert in der Vergangenheit... Und immer habe ich mich gefragt, wieso dies eigentlich der Fall war, und warum mich dieses spezielle Sub-Genre der Science-Fiction nie bei sich behalten konnte. Denn im Grunde finde ich die Idee, die dem Cyberpunk definiert, wirklich spannend, interessant und reizvoll: eine dystopische Gesellschaft, in der aus hoch ausgebildeter und unglaublich vielfältig eingesetzter Technik kein gutes Leben mehr möglich ist und alles Soziale aufgrund der alles übernehmenden Computer den Bach runter geht, ist etwas, woraus man wirklich sehr viel machen kann. Und deshalb war ich von der Grundidee des Genres ja auch immer begeistert, konnte nur mit den paar Umsetzungen im Feld der Sci-Fi-Literatur, mit denen ich mich befasst, nichts anfangen... Warren Ellis' tolle Comic-Serie Transmetropolitan, die ich letztes Jahr las, tat für mich endlich zum ersten Mal all das, was ich mir von Cyberpunk-Geschichten immer erwünscht hatte, und konnte mich völlig vom Konzept der hochtechnisierten Slum-City überzeugen.


Transmetropolitan, geschrieben von Warren Ellis und in Bilder verpackt vom überaus talentierten Darick Robertson (den man in diesem Blog auch in der Besprechung der von mir heißgeliebten Reihe The Boys wiedertreffen wird in naher Zukunft, denn dieser ließ er nach dem Ende von Transmetropolitan seinen unverwechselbaren Stil angedeihen und zusammen bilden die beiden Reihen die Kernstücke seines beeindruckenden künstlerischen Œuvres), lief beim DC-Ableger Vertigo von 1997 und 2002 und brachte insgesamt 60 Einzelausgaben und zwei One-Shots hervor, welche ich zusammengefasst in den zehn Trade-Paperbacks las, die einige Jahre später auf den Markt geworfen wurden. Es erzählt die Geschichte von der Wiederkehr des Journalisten Spider Jerusalem aus dem selbstgewählten Exil in einer Waldhütte in seine alte Heimat, eine von Übertechnisierung und Übermodernisierung zerfressene Massenmetropole, welche nie mit etwas anderem als dem symbolischen Titel "The City" belegt wird, und seiner Wiederaufnahme der Tätigkeit als Journalist in ebendieser sozial zerfressenen, degenerierten und heruntergekommenen Stadt. In der "City" sind Verbrechen aller Art an der Tagesordnung. Gewalt, Mord, Prostitution, Drogen und sogar gewissermaßen futuristisch kultivierte ehemalige Tabus wie Kannibalismus und ausgelebte Pädophilie gehören zum normalen Straßenbild. Die nicht genau abgesteckte Zukunft, in der die Reihe ihre Handlung verortet, die sich jedoch an einigen Stellen in etwa als Vision des 23. Jahrhunderts erkennen lässt, ist von Medien und Technik kontrolliert, Aliens haben die Erde besucht und ihren Weg in die Gesellschaft gefunden, und die Politik ist ein einziger verlogener Schweinestall. Die eng mit der Politik verletzten Medien, die dem kaputten und nur mit Mühe eine funktionelle Existenz bestreitenden Großteil der Bevölkerung so gut wie keine Beachtung schenken, sind eng mit der Politik vernetzt, und die Kontrolle, die der Staat auf sämtliche Bereiche des Lebens in der "City" hat, ist immens und nicht gutzuheißen.



Was Transmetropolitan erzählerisch und storytechnisch auszeichnet, ist vor allem der Hauptcharakter. Spider Jerusalem, eine liebevolle Hommage an den legendären Gonzo-Journalisten Hunter S. Thompson, ist ein nicht weniger von der Übertechnisierung gebeuteltes und mental von Drogen und der großen Belastung all der städtischen Verruchtheit und Asozialität belastetes Individuum, als es die meisten anderen Bewohner der Metropole auch sind. Im Verlauf der Reihe nimmt er seine Tätigkeit als Kolumnist wieder auf und landet diverse journalistische Coups, die alle gerade deswegen interessant sind, da sie in einer Welt geschehen, welche a) voll politischer Degeneration und unlauterer Korruption und Lügerei ist, und in der es b) keinerlei "echten" Journalismus mehr gibt, und in der Spider der einzige sein kann, der wirklich etwas bewegen, aufdecken und erkennen kann. Er ist ein Unikat in einer Gesellschaft, in der sich sonst niemand um die alles beeinflussenden Zusammenhänge und hinterlistigen Verbindungen schert, und deshalb ist er nicht nur Journalist, sondern Superheld, Genie und narzisstisches und selbstverliebtes Arschloch zu gleichen Teilen. Seine Persönlichkeit, und daneben auch noch seine beiden "filthy assistants" Yelena und Channon, die im bei all seinen Entdeckungen zur Seite stehen, so gut und so viel sie können, auch wenn sie beizeiten nicht gut mit dem verkopften Arbeitgeber klarkommen, wie sie gerne würden, machen die Reihe sehr lesenswert und witzig. Außerdem ist die Ausarbeitung der Welt sehr detailliert, und Ellis versteckt andauernd kleine Anspielungen, Gags und kreative Blödsinnigkeiten in seine großangelegten, mit schönen kleinen Twists garnierten und häufig politikkritische Analogien zu in unserer gegenwärtigen Gesellschaft auftretenden Problemen beinhaltende Plotlines, die viel Spaß garantieren. Das einzige, was mich ein wenig gestört hat, ist das Ende, welches er seiner langlaufenden Reihe verpasst; denn mag es auch konsequent sein, und nicht unbedingt eine schlechte Konklusion für Spiders Geschichte, so hätte ich mir doch etwas Epischeres und Bedeutenderes vorstellen können und auch gewünscht. Doch Transmetropolitan bleibt ein unglaublich kreatives, einzigartiges ideenreiches und mit einem ganz speziellen Humor ausgestattetes Stück Comic-Geschichte, welches seinen hohen Status auf alle Fälle verdient hat und dem man sich als Fan des Mediums schon allein aufgrund der tollen und andersartigen Erzählweise und Robertsons tollen Artworks ergeben sollte.


Und das war mein kleiner Rückblick auf meine Lese-Eindrücke zu Transmetropolitan. Spider Jerusalem, dieser griesgrämige, hasserfüllte und durch und durch furchtbare, aber doch so interessante, urkomische und liebenswerte Teufelskerl von einem Berichterstatter, wird mir immer als eine der bestgeschriebenen Comic-Charaktere im Kopf bleiben, die mir je begegnet sind, und ich wäre niemals abgeneigt, mich (in einigen Jahren vielleicht) für einen Re-Read zurück in die dreckige "City" und seine unverblümten und brutal ehrlichen Ansichten zu ihr zu begeben. Bald geht es hier im Blog mit einer Recap zu Bone weiter, und wieder einmal könnte der Kontrast zwischen zwei nacheinander besprochenen Reihen nicht größer sein. Denn Bone ist ein überaus schönes und herzensgutes Phänomen in der Comic-Landschaft... Aber dazu bald mehr.

Bis dahin!

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